Geformte Erde – gebrannter Ton • Editorial Marktkalender 2013

Formen und Gestalten mit Ton ist eine der ältesten Kulturtechniken der Menschheit, die bis in die Steinzeit zurückreicht. Mit dem Modellieren von Figuren aus Lehm entwickelten unsere Vorfahren nicht nur ihre manuelle Geschicklichkeit durch Nachbilden und damit ihre Vorstellungs- und Schöpferkraft, dieser Schöpfungsakt bekam auch eine kosmologische Bedeutung in ihrer geistigen Welt. Bei vielen Völkern wird der Mensch von einer Gottheit aus Erde oder Lehm geschaffen: solch ähnliche Ursprungsmythen findet man etwa in der Bibel und anderen schriftlichen Quellen des nahen Ostens aber auch in mündlichen Überlieferungen indianischer oder nordeuropäischer Völker.

In der griechischen Mythologie ist der Titan Prometheus der Schöpfer der Menschen, denen er aus Ton Gestalt verleiht, und er ist zudem auch Kulturstifter, indem er ihnen das Feuer bringt. Die Nutzbarmachung des Feuers bewirkte in der kulturellen Entwicklung der Menschheit einen technologischen Sprung, der die Kunst der Keramik erst ermöglichte. Seit dem Neolithikum, erstmals vor etwa 20.000 Jahren – das belegen neuere Funde von Scherben gebrannter Gefäße in China – konnte durch das Brennen Töpferware hart und dauerhaft gemacht werden. Mit diesen Tongefäßen konnte man nun Speisen über dem Feuer kochen, aber auch kühl lagern und Vorräte länger haltbar aufbewahren.

Die Erfindung der langsamdrehenden Töpferscheibe (ca. 6000 v. Chr.) und vor allem der schnelldrehenden (ca. 4000 v. Chr.) bewirkte eine Beschleunigung des Herstellungsprozesses und ermöglichte serielle Fertigung. Mit der Entwicklung immer besserer Brennöfen und -verfahren und von Techniken der Oberflächengestaltung (Malerei, Glasur etc.) wurde Keramikkunst von höchster Vollendung möglich. Gleichzeitig wuchs auch die Bedeutung der gebrannten Erde (»terra cotta«) für Bauen, Wohnen, Heizen und Sanitäres. Heute ist die industrielle Massenproduktion vorherrschend und keramische Hightech-Materialien finden Einsatz in allen möglichen Bereichen. Gerade wegen ihrer Individualität sind handgefertigte Töpferwaren und figurale Keramikunikate trotzdem sehr gefragt und Töpfermärkte und Keramikausstellungen finden starke Besucherresonanz.

Auch mit dem Erscheinungsbild unseres Kalenders wollen wir heuer auf künstlerische Keramik aufmerksam machen, mit Werken von Jutta und Janos Szabo »Keramik aus dem Waldviertel« (www.artforusers.com). Ihre Spezialitäten sind pittoreske Erdglasuren verbunden mit moderner Formgebung, bizarre Gefäße mit unwiderstehlichem Gebrauchsnutzen für Slow-Food-Fans, praktische Alltagshelfer von ästhetischer Originalität.

Moderne Keramikkunst kann heute aus einer reichen tradierten Vielfalt an Gestaltungs mitteln, Arbeitsweisen und technischen Verfahren schöpfen. Durch Auswahl aus dieser Fülle, Spielen und Experimentieren mit den Möglichkeiten und mit viel Erfahrung kristallisiert sich die persönliche Handschrift der einzelnen Künstlerinnen und Künstler heraus. Über diese Individualität hinaus sind sie gemeinsam aber auch eine globale erdverbundene Zunft mit regionaler und nachhaltiger Orientierung. Im Kontakt mit der Erde, der prima materia (und mit den anderen Elementen), im Zentrieren des Tonklumpens (auf der Scheibe oder freihändig), in der Maßhaltigkeit des Begrenzens und des Raumgebens erschaffen wir uns beim Töpfern möglicherweise selbst und erkennen: wir kommen aus der Erde und kehren zu ihr zurück.

Gottfried Schmuck

EditorialKHK13.pdf

 

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Kommentar von Janos Szabo am 29. April 2013 um 17:49

soo schöne Worte!! ich bin echt gerührt..!!!! :)

Kommentar

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